Der Apotheker Hermann Rasch wurde am 26. September 1904 als viertes Kind des Spenger Apothekers Johannes Friedrich Maximilian Rasch in Spenge geboren. Schon Hermann Raschs Großvater war Apotheker, der erste in Gnarrenburg. Hier waren die Entwicklungsmöglichkeiten für Johannes zu gering, sodass er nach Spenge umzusiedeln sich entschloss. In Spenge hatte er nämlich die Möglichkeit, die hiesige Apotheke zu übernehmen. Später sollte Hermann Raschs älterer Bruder die Hirsch-Apotheke fortführen, doch er fiel 1914 im Ersten Weltkrieg in Flandern.
Hermann Rasch musste schon früh, genauer gesagt mit zehn Jahren, die heimatliche, ländliche Spenger Geborgenheit verlassen, weil er nach Bielefeld auf das Realgymnasium geschickt wurde und dort auch in Pension kam. So gab es nur die Wochenenden und Ferien bei seiner Familie zu Hause.
In der Nachkriegszeit, als die Pensionskosten nicht mehr aufgebracht werden konnten, wechselte er auf das Bünder Realgymnasium. Das konnte er mit dem Fahrrad erreichen, oder, wenn er Glück hatte,
nahm ihn ein Lieferwagen der Zigarrenfabrik Engelhard & Biermann mit nach Bünde und zurück. Das letzte Schuljahr bis zum Abitur wohnte er in Bünde.
Die damals voruniversitäre, vorgeschriebene Praktikantenzeit von 1926 bis 1928 verbrachte Rasch in der väterlichen Apotheke und die längste Zeit in der Linden-Apotheke in Lübtheen in Mecklenburg.
Während seiner Studentenzeit in Würzburg war er zeitweise Fachschaftsleiter der Pharmazeutischen Fakultät.
Nach dem Staatsexamen zog es ihn wieder nach Spenge zurück, wo er seinen bereits 75jährigen Vater in der Hirsch-Apotheke entlastete. „Sein Berufsethos wurde geprägt durch einen Spruch, den sein Vater beim Neubau der Apotheke 1895 an die Wand über der Rezeptur hatte anbringen lassen: Aegroti salus suprema lex („Das Wohl der Kranken ist das höchste Gebot“), schreibt seine Frau Anneliese in einem Familienbuch.
Schon bald zu Beginn des Nazi-Regimes wurde Hermann Rasch zum „Hauptstabsapotheker“ ernannt. Er vermied es
allerdings, seine Uniform in Spenge zu tragen, weil es ihm zu auffällig war, obwohl er dazu bei offiziellen Anlässen verpflichtet war. Man beauftragte ihn ab 1937 in Nottuln bei Münster
Schulungslager für Apothekerpraktikanten durchzuführen.
Als Frontsoldat wurde er nicht eingezogen, weil er zur Versorgung der Spenger Bevölkerung mit Medikamenten als einziger Apotheker „UK“ gestellt wurde. Gerade in den Notzeiten der letzten
Kriegsjahre war Raschs Erfahrung zur Herstellung wichtiger Extrakte aus Kräutern gefragt. Unter anderem sammelte er im Teutoburger Wald Tollkirschen, um daraus den damals so wichtigen
Belladonnaextrakt für die weitere Verarbeitung in Pillen oder Infusen zu gewinnen oder sogar das Alkaloid Atropin zur Herstellung von Augentropfen herauszuziehen. Für diese Extraktion in größerem
Umfang hatte er im Labor eine Anlage aufbauen lassen, denn die Apotheken im Kreisgebiet wurden mit diesen gewonnenen Stoffen von ihm versorgt. Aus frisch geernteten Johanniskräutern, ebenfalls im
Teutoburger Wald auf Kalksandsteinboden reichhaltig vorkommend, stellte er mitten im Sommer das viel gebrauchte Johanniskrautöl zur Wundversorgung her.
Außerdem wurde Hermann Rasch zum „Kreisbeauftragten für die Heilkräuterbeschaffung“ ernannt. In dieser Funktion organisierte er auch mit Hilfe der Lehrer in den Schulen unserer Region ein
Heilkräutersammeln. Sogar aus Silbermünzen stellte er in der „schlechten Zeit“ das bekannte „Argentum nitricum“ her, ein als Höllenstein bekanntes Silbersalz, was teilweise auch heute noch als
Ätzmittel medizinische Anwendung findet.
Das Schwarzbrennen von Alkohol war auch in den Kriegs- und Nachkriegsjahren verboten. Der für medizinische Zwecke auf Bezugsscheine zu beziehende und dann verwendete Alkohol wurde genau
kontrolliert und penibel dokumentiert, was vom Hauptzollamt überwacht wurde. Anneliese Rasch schreibt dazu: „Anlässlich einer solchen Kontrolle – die Schwarzbrennerei blühte – glaubten die
Kontrolleure im Labor fündig zu werden, als Hermann gerade Atropin destillierte. Ein übereifriger Zollbeamter wollte durch Kosten eines Tropfens Hermann überführen und wurde von ihm mit innerer
Genugtuung darauf aufmerksam gemacht, dass seine letzte Stunde geschlagen haben könnte, was ihn sichtlich verwirrte.“
Hermann Rasch war auch auf dem Gebiet der Tiermedizin über Spenges Grenzen hinweg bekannt. Schon in seiner Praktikantenzeit im ländlichen Raum in Lübtheen eignete er sich Kenntnisse und
Rezepturen zur Behandlung von Krankheiten bei Kleintieren wie auch von Weidevieh und Pferden an, was ihm von großen Nutzen dann in seiner eigenen Apotheke in Spenge war. Besonders in der
„schlechten Zeit“, aber auch danach, wusste man, dass der Spenger Hirsch-Apotheker gegen nahezu alle Tierkrankheiten Präparate zur Behandlung in seiner Apotheke vorrätig hielt bzw. mixte.
Manchmal wurde vor der Apotheke oder im Hof ein Pferd zur Begutachtung durch den Apotheker angebunden, oft kamen Leute mit einem Huhn, einer Taube, mit Hund, Kaninchen oder Vogel im Käfig in die
Apotheke, um Medizin oder einen Rat für das kranke Tier von Rasch zu erhalten. Bis Ende der 1970er Jahre betrieb er ein umfangreiches Tierarzneimittelherstellungslabor vor allem im Keller seiner
Apotheke.
Nach Kriegsende wurde Rasch von der englischen Besatzungsbehörde eine Genehmigung zum Fahren eines Motorrades zur Beschaffung von Medikamenten erteilt. Damit konnte er u.a. sogar bis nach
Holzminden zu einem Medikamentendepot fahren. Alles das war wichtig für die Versorgung der Patienten, so gut es ging.
Bald nach der Währungsreform 1948, als der kontrollierte Bezug der Medikamente aufgehoben wurde und wieder normale Verhältnisse eintraten, wurde auf Betreiben einiger Apotheker die
„Standesgemeinschaft Deutscher Apotheker“, kurz „Stada“ genannt, gegründet, die es heute noch als pharmazeutisches Industrieunternehmen gibt. Diese Gründungsapotheker verfolgten das Ziel,
Verfahren und Standards für das Apothekenlabor zu entwickeln, die es ermöglichten, in den Apotheken Arzneimittel in größerem Stil zu produzieren. Allerdings beschränkten sich die Aktivitäten
dieser Organisation nur auf die Bundesrepublik. Hermann Rasch wurde bald engagiertes Mitglied der Stada und bis 1954 Angehöriger des Aufsichtsrates.
Als Herstellungsapotheker hatte Rasch ein größeres Herstellungslabor für Humanpräparate als sonst in den Apotheken üblich. Hier wurden große Chargen an Tabletten, Salben, Zäpfchen, Säften und
Emulsionen mit Hilfe immer neuerer Technik produziert. In Fortbildungen, auch praktischer Art, bildete er sich weiter, und eignete sich u.a. das Dragieren von Tablettenkernen an. Das schrittweise
Umhüllen von Wirkstoffkernen, also Herstellen von Dragees, war vielfach als wünschenswerter Fortschritt aus mehreren therapeutischen Gründen wichtig in der Medizin und Pharmazie. Die Anschaffung
eines Dragierkessels lohnte sich selbstverständlich nur für das Herstellen großer Chargen an Dragees. Diese wie alle anderen Stada-Produkte wurden an Apotheken der näheren und weiteren Umgebung
zur Umverpackung zum Verkauf versandt. Die Palette der Stada-Präparate wuchs nicht nur ständig an, sondern die Herstellungsverfahren verbesserten sich nach neuesten wissenschaftlichen
Erkenntnissen.
Darüber hinaus stellte Hermann Rasch mit diesen neuesten Verfahren viele Eigenpräparate her, die einen hohen Bekanntheitsgrad über Spenge hinaus hatten und vor allem erfolgreich eingesetzt
wurden. Ein Kräuterschnaps aus 14 verschiedenen Kräutern, Raschs Apothekenbitter „Alter Magentröster“, befand sich stets im Produktionsprozess in Ansätzen, Perkulationsrohren oder
Filtriereinrichtungen. Er war das ganze Jahr über, besonders in der Weihnachtszeit, beliebt.
1955 erfolgte Raschs Ernennung zum Kammerbeauftragten der Apotheker-Kammer in Münster.
Zu seinen außerberuflichen Engagements gehören seine kulturellen Aktivitäten.1932 vereinigte er mit dem Spenger Eberhard Werdin, dem späteren Professor und Leiter der Leverkusener
Jugendmusikschule und bekannten Komponisten, etliche Spenger Jugendliche zur „Chorvereinigung“, die als ein gemischter Chor unter Werdins Leitung beachtete Auftritte bis zum Beginn des Zweiten
Weltkrieges hatte. Rasch war deren Vorsitzender.
Nach dem Krieg regte Rasch zusammen mit einem Freund das brachliegende kulturelle Leben durch die Gründung der „Vortragsvereinigung“ an. Durch Verbindungen zu Initiatoren der Bielefelder
Meisterkonzerte konnten sie Kontakte zu namhaften musikalischen Künstlern nicht nur herstellen, sondern diese auch bewegen, in jenen „schlechten Zeiten“ nach Spenge zu kommen gegen damals geringe
Gage. Diese Lieder- und Arienabende blieben vielen unvergessen. Auch der Bielefelder Kinderchor und das Städtische Orchester Bielefeld traten in Spenge auf. Und ebenso wurden Vortragsabende von
Wissenschaftlern wie auch Rezitationsabende mit großem Erfolg angeboten. Als sich das kulturelle Leben in den Städten wieder normalisiert hatte, verebbte dieses Angebot in Spenge schnell und die
Vortragsvereinigung wurde aufgelöst.
Hermann Rasch wurde als Verdienst seines kulturellen Engagements wegen 1955 in den Vorstand des Kulturdienstes Herford gewählt, dem die Volkshochschulen des Kreises unterstanden. Auch auf
sportlichem Gebiet war Hermann Rasch vielseitig interessiert. Als früherer Handballspieler in verschiedenen Schülermannschaften war er einige Jahre Pressewart des Spenger Handballvereins. Als
Faustballspieler beim TuS Spenge war er Mitbegründer der Seniorenabteilung,
Sein größtes Hobby war und blieb immer sein Apothekerberuf. Erst mit 72 ½ Jahren entschloss er sich, seinen Beruf aufzugeben und gab 1977 die Hirsch-Apotheke ab. In seinem Haus am Spenger
Katzenholz verbrachte er noch zwölf weitere Lebensjahre, bis er 1989 verstarb.
Quellen
· Privatarchiv der Familie Rasch
· Groeger-Archiv Spenge
· Eigene Erzählungen von Hermann Rasch mit mir, Eberhard Groeger, als seinem Apothekerpraktikanten
Zum Autor Eberhard Groeger
Der in Spenge geborene Eberhard Groeger war als Praktikant und nach seinem
Vorexamen bei Hermann Rasch in der Hirsch-Apotheke an der Poststraße in Spenge
beschäftigt. Ca. 3 Jahre arbeitete Eberhard Groeger bei und mit Hermann Rasch
zusammen. Nach Abschluss seines Studiums der Pharmazie arbeitete Eberhard Groeger
in der Hirsch Apotheke, die Hermann Rasch 1977 an den Bünder Henning
Brömmelmeier abgegeben hatte. Brömmelmeier verstarb im Jahr 1992. Seine Witwe
führte die Geschäfte bis 1993 fort und übergab dann die Apotheke an Eberhard Groeger,
der diese bis Dezember 2013 weiterführte. Aufgrund der langjährigen persönlichen
Beziehung zu Hermann Rasch und zahlreichen Gesprächen über die Familiengeschichte
der Raschs, die eigene Biographie und die Entwicklung der Apotheke, vermag es
Eberhard Groeger, vielfältige authentische Einblicke in die besondere und für Spenge
prägende Biographie von Hermann Rasch zu geben.