Heinrich Hildebrand, Bürgermeister in Spenge (1945-1968): "Ein Mann der ersten Stunde"

von Norbert Sahrhage


Heinrich Hildebrand
Heinrich Hildebrand

In einem Pressebericht zu seinem 80. Geburtstag wurde Heinrich Peter Hildebrand, der die Spenger Kommunalpolitik der Nachkriegszeit wie kein anderer geprägt hatte, als „weitsichtiger Kommunalpolitiker“ gewürdigt. Die Westfälische Zeitung hatte bereits zum 75. Geburtstag, als Heinrich Hildebrand noch das Amt des Bürgermeisters der Gemeinde Spenge innehatte, vorläufig resümiert: „Der Aufbau nach 1948, die mannigfaltigen Leistungen auf dem Sektor des Wohnungsbaues, der Neubau zahlreicher Straßen, der Schule, des Freibades, des Amtshauses und der Sporthalle fallen in seine ‚Regierungszeit’. Die Gemeinde Spenge hat sich dank vorausschauender Arbeit enorm entwickelt. Das ist mit ein Lebenswerk des Geburtstagskindes, das nie große Worte liebte und auch keine Anerkennung sucht.“

Heinrich Hildebrand wurde am 22. September 1891 in Spenge geboren; er hatte fünf Geschwister. Sein Vater Johann August Heinrich Hildebrand war von Beruf Weber. Die Familie wohnte in einem Haus in der heutigen Bahnhofstraße (früher: Spenge Nr. 59). Nach dem Besuch der Volksschule von 1898 bis 1906 erlernte Heinrich Hildebrand zunächst den Beruf des Zigarrenmachers. Später absolvierte er eine Lehre bei der Seidenweberei Delius in Jöllenbeck. Anfang der 1920er Jahre, während der Zeit allgemeiner Arbeitslosigkeit, war Heinrich Hildebrand zeitweise als Bergarbeiter im Ruhrgebiet tätig. Das Interesse an Politik wurde ihm in seinem sozialdemokratischen Elternhaus vermittelt. Aufgewachsen im Arbeitermilieu, trat er 1906 der Tabakarbeiter-gewerkschaft und der Sozialistischen Arbeiterjugend sowie im Jahre 1909 im Alter von 18 Jahren der SPD bei.

Am 22. November 1912 hatten Heinrich Hildebrand und Marie Luise Johanne Borgstädt geheiratet. Der Ehe entstammten zehn Kinder, zwei von ihnen starben während bzw. kurz nach der Geburt. Im Jahre 1935 erbaute die Familie ein Haus im Rottbusch (Spenge Nr. 599, heute: Rottbusch 11).

 

Nach der Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg gehörte Heinrich Hildebrand von 1919 bis 1933 der Spenger Gemeindevertretung an. Er war bei seiner ersten Wahl 27 Jahre alt, was für die SPD durchaus untypisch war, da man eher auf ältere, politisch bewährte Genossen mit viel Lebenserfahrung setzte. Infolge der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ verloren die gewählten sozialdemokratischen Kommunalpolitiker ihre Mandate. Heinrich Hildebrand war kein Widerstandskämpfer, er unterhielt während der Zeit der Nazidiktatur aber verbotene Kontakte zu führenden Bielefelder Sozialdemokraten, u.a. zu Arthur Ladebeck, der nach dem Zweiten Weltkrieg Oberbürgermeister in Bielefeld wurde.

Nach Kriegsende gehörte Heinrich Hildebrand zu den Gemeindebürgermeistern im Kreis Herford, die man als „Männer der ersten Stunde“ zu bezeichnen pflegt. Diese Männer trugen entscheidend mit dazu bei, dass der politische Wiederaufbau in den Gemeinden gelang. Heinrich Hildebrand wurde im Juni 1945 von der englischen Besatzungsmacht als Bürgermeister der Gemeinde Spenge eingesetzt; bei den später durchgeführten demokratischen Wahlen wurde Hildebrand als Bürgermeister bestätigt. Wie alle anderen politischen Amtsträger und Angehörigen relevanter Berufsgruppen auch hatte Heinrich Hildebrand das von den Alliierten in Potsdam beschlossene Entnazifizierungsverfahren zu durchlaufen, das sein politisches Verhalten in der Zeit des „Dritten Reiches“ überprüfte. Er wurde am 6. September 1946 in die Kategorie "N" eingruppiert, das hieß, er wurde nicht nur als vollkommen unbelastet, sondern explizit als Gegner des Nationalsozialismus eingestuft.

 

Heinrich Hildebrand war Pragmatiker, kein Ideologe. Er war kein großer öffentlicher Redner, wusste aber in persönlichen Gesprächen zu überzeugen. Hinzu kam seine Zähigkeit, mit der er seine Ziele verfolgte. In der unmittelbaren Nachkriegszeit setzte sich Hildebrand für die nach Spenge gekommenen Flüchtlinge und Vertriebenen bei der Wohnraumbeschaffung ein; er stieß dabei gelegentlich auf den Widerstand einheimischer Hausbesitzer. Die SPD mit ihrem Bürgermeisterkandidaten Heinrich Hildebrand erreichte bei den Kommunalwahlen aber stets große Zustimmung seitens der Spenger Bevölkerung. Im Jahre 1956 erreichte die SPD 58,5 Prozent der Wählerstimmen und damit 11 von 18 Sitzen im Gemeinderat. Neben seiner Tätigkeit als Gemeindebürgermeister nahm Heinrich Hildebrand weitere öffentliche Funktionen wahr. Von 1953 bis 1958 gehörte er dem Vorstand der Kreissparkasse Herford an; ab 1958 war er Mitglied des Sparkassenrates.

Das Bürgermeisteramt übte Heinrich Hildebrand 23 Jahre lang – bis 1968, als die kommunale Neugliederung anstand – aus; von 1956 bis 1964 war er zudem noch Amtsbürgermeister. In dieser Zeit gehörten auch sein Sohn Reinhold und sein Bruder Gustav Hildebrand der Spenger Gemeindevertretung an. In Heinrich Hildebrands Amtszeit fielen u.a. der Bau der Hauptschule an der Bussche-Münch-Straße, des Freibades, der Werburger Sporthalle (1960), der Realschule und der Stadthalle. Heinrich Hildebrand und die SPD verfolgten zudem eine weitsichtige Bodenvorratspolitik. Die Gemeinde Spenge erwarb von dem auf Gut Benkhausen in Gestringen ansässigen Alhard Freiherr von dem Bussche-Münch nach und nach große Parzellen Land, die von der Gemeinde Spenge erschlossen und dann Bauwilligen zu einem niedrigen Preis als Bauland angeboten wurden. Dadurch entstanden die Siedlungen nördlich und südlich der Bussche-Münch-Straße. 1955 erwarb die Gemeinde Spenge zudem vom Kreis Herford Ländereien des ehemaligen Gutes Mühlenburg, auf denen dann die Bauernsiedlung und die Katzenholzsiedlung entstanden. In der Bauernsiedlung wurden Vertriebene aus den früheren deutschen Ostgebieten angesiedelt.

 

Heinrich Hildebrand musste auch politische Niederlagen einstecken. So scheiterte etwa der im Zuge der kommunalen Neugliederung 1968 von ihm unternommene Versuch, die Gemeinden Dreyen und Westerenger in das Amt Spenge zu integrieren. Nachdem seine Frau 1953 im Alter von 62 Jahren gestorben war, heiratete Heinrich Hildebrand einige Jahre später die Kriegerwitwe Alma Niestrath. Im Alter erholte sich der passionierte Nichtraucher von seiner politischen Tätigkeit zumeist im sauerländischen Kurort Berlebeck.

Wegen seiner langjährigen Tätigkeit für die SPD wurde Heinrich Hildebrand Ehrenvorsitzender des Spenge SPD-Ortsvereins. Zu den Ehrungen, die er für seine politische Tätigkeit erfuhr, gehörte auch die Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt Spenge am 11. November 1974. Am 24. Januar 1975 wurde Heinrich Hildebrand für sein langjähriges kommunalpolitisches Wirken zudem das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Heinrich Hildebrand verstarb am 30. Januar 1976 im Alter von 84 Jahren in Spenge.

Quellen/Literatur:

August Wehrenbrecht, Spenge 1918 - 1983, in: Wolfgang Mager Hg., Geschichte der Stadt Spenge, Spenge 1984, S. 287-395. Sozialdemokratische Partei Ortsgruppe Spenge. Festschrift zum 90-jährigen Bestehen, Spenge 1981
Engerscher Anzeiger v. 22.9.1967